Pressemitteilung: Parkinson durch Pestizide zur Anerkennung als Berufskrankheit empfohlen

Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat jetzt empfohlen „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ als Berufskrankheit anzuerkennen. Eine Aufnahme in die Liste für Berufskrankheiten durch das  Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der zweiten Jahreshälfte gilt jetzt nur noch als Formalität. Dazu erklärt der Grüne Bundestagsabgeordnete und Neurologe, Armin Grau, Mitglied im Umwelt- und im Gesundheitsausschuss:

„Ich begrüße es sehr, dass der Sachverständigenbeirat empfiehlt, die Parkinsonerkrankung bei Menschen als Berufskrankheit anzuerkennen, die in Landwirtschaft und Gartenbau beruflich Pestizide anwenden. Damit werden Betroffene Anspruch auf Unterstützung und gegebenenfalls auch auf Entschädigung haben; in Ländern wie Frankreich bestehen diese Ansprüche schon länger. Die Parkinson-Krankheit ist eine häufige neurologische Erkrankung, die zu schwerer Behinderung führen kann. Als Neurologe habe ich mich seit längerem für eine solche Anerkennung ausgesprochen.

Tierexperimente zeigen, dass Pestizide, wie zum Beispiel Rotenon, über die Nahrung aufgenommen im Nervengeflecht im Darm Verklumpungen des Eiweißes Alpha-Synuklein auslösen können. Dieses verklumpte Eiweiß wandert über einen Nerv, den Vagus-Nerv, vom Darm bis zum Gehirn. Dort löst es im Mittelhirn die Parkinson typischen Veränderungen und die charakteristischen Bewegungsstörungen aus. Viele epidemiologische Untersuchungen zeigen ein erhöhtes Risiko für Parkinson bei beruflicher Anwendung verschiedener Pestizide, aber etwa auch durch ein regelmäßiges Trinken von Brunnenwasser auf dem Land.“ Die zuständige Gewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt rät allen, die mit Pestiziden umgehen, Schutzkleidung zu tragen: Handschuhe, Ganzkörper-Schutzanzüge, hinreichend schützende Kabinenfahrzeuge, Atemmasken, entsprechende Schuhe und anderes mehr. Dazu ergänzt Armin Grau: „Es ist richtig, sich bei Pestizidanwendung möglichst gut zu schützen, auch wenn man sich an Landwirte in Ganzkörperschutzanzügen auf dem Traktor erst gewöhnen müsste. Ich stimme der Gewerkschaft auch bei ihrer Empfehlung zu, am besten gar keine Pestizide zu benutzen. Bei der Diskussion um die Pestizidreduktionsstrategie der EU muss neben dem Artensterben durch Pestizide auch der Gesundheitsschutz stärker betrachtet werden. Und dabei geht es in erster Linie um die Gesundheit der Landwirte selbst. Pestizide spielen im Weinbau und im Gemüseanbau, der bei uns in der Vorderpfalz im Vordergrund steht eine wichtige Rolle.“

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Hintergrund:

Die Parkinson-Erkrankung ist nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste sogenannte neurodegenerative Erkrankung. Mindestens 200.000 Menschen sind in Deutschland betroffen, mit steigender Tendenz. In der Mehrzahl sind Menschen über 60 Jahre betroffen, die Krankheit kann aber auch bereits bei jungen Menschen auftreten. Bei der Erkrankung sterben im Mittelhirn Nervenzellen, Neurone, ab, die den Botenstoff (Neurotransmitter) Dopamin produzieren. Aus Untersuchungen am Menschen und aus Tierexperimenten ist bekannt, dass die Krankheit im Darm oder im Riechnerven entsteht und sich von dort langsam Richtung Mittelhirn ausbreitet. Pestizide wie das Insektizid Rotenon können eine Fehlfaltung des für die Entstehung der Erkrankung wichtigen Proteins Alpha-Synuklein auslösen. Dieses fehlgefaltete (verklumpte) Protein induziert Fehlfaltungen in weiteren Alpha-Synuklein Molekülen und der Prozess wandert nach dem Modell der Prion-Erkrankungen über den Vagus-Nerv vom Darm langsam Richtung Mittelhirn. Dort kommt es in der sogenannten Schwarzen Substanz (substantia nigra) zu Neuronenuntergängen, was die Symptome Muskelsteifigkeit, Bewegungsverlangsamung, Ruhezittern und Störung der Stabilität der aufrechten Körperhaltung mit Sturzneigung auslöst. Die Krankheit ist medikamentös und durch Tiefenhirnstimulation behandelbar, aber bislang nicht heilbar.

Pestizide umfassen Mittel, die zum Schutz von Pflanzen vor anderen Pflanzen (Herbizide), Pilzen (Fungizide) und vor Insekten (Insektizide) eingesetzt werden. Sie gehören einer Reihe verschiedener chemischer und Funktionsgruppen an.

Der Zusammenhang zwischen verschiedenen chemischen Substanzen, v.a. Pestiziden und der Parkinson-Krankheit wird seit rund 30 Jahren untersucht. Wichtiger Auslöser der Hypothese war eine Verunreinigung von Heroin mit einer Substanz namens MPTP, die bei Heroinsüchtigen in den USA ein schweres, irreversibles Parkinson-Syndrom auslöste. MPTP weist chemische Ähnlichkeiten mit verschiedenen Pestiziden auf.

Der Sachverständigenbeirat hat den Zusammenhang über viele Jahre sehr eingehend geprüft und die zahlreichen tierexperimentellen und epidemiologischen Belege in seinem Gutachten ausführlich zusammengefasst. Das Gutachten kommt zum Schluss, dass Parkinson durch hohe Pestizidexpositionen verursacht wird. Als besondere Personengruppe im Sinne des zuständigen Sozialgesetzbuchs VII gelten dabei Personen, die mindestens 100 Anwendungstagen einer Pestizidgruppe wie Herbizide, Fungizide oder Insektizide ausgesetzt waren. Bei extrem hohen Belastungen, z.B. im Rahmen von Störfällen, könne eine Parkinson-Krankheit auch durch weniger als 100 Anwendungstage einer Funktionsgruppe verursacht werden. Ob Schutzmaßnahmen wie besondere Bekleidung Parkinson verhindern können, ist wissenschaftlich noch nicht ausreichend belegt.

Als Kriterien für eine Berufskrankheitenanzeige nennt das Gutachten das Vorliegen der beiden folgenden Bedingungen:

1.           Herbizide, Fungizide oder Insektizide wurden langjährig häufig selbst angewendet (eigene Vor- und Nacharbeit der Pestizid-Ausbringung oder eigene Pestizid-Ausbringung oder eigene Störungsbeseitigung im Rahmen der Pestizid-Ausbringungen).

2.           Es liegt ein primäres Parkinson-Syndrom vor ohne Nachweis einer sekundären Genese.

Referenzen

https://www.bmas.de/DE/Soziales/Gesetzliche-Unfallversicherung/Aktuelles-aus-dem-Berufskrankheitenrecht/empfehlung-berufskrankheit-parkinson-syndrom-durch-pestizide.html
https://igbau.de/Parkinson-erworben-durch-Pestizide-ist-jetzt-eine-Berufskrankheit.html

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