Chemikalienpolitik

Ein weiteres Thema das mir im Bereich der nachhaltigen Stoffpolitik am Herzen liegt, ist der Schutz von Umwelt und Verbrauchern vor Schadstoffen, vor allem in alltäglichen Verbrauchsprodukten. Die Planetare Grenze für Schadstoffe wurde 2022 überschritten. Die Verschmutzungskrise ist laut den Vereinten Nationen neben Klima- und Biodiversitätskrise die dritte große Umweltkrise unserer Zeit. Grundstoffe für Produkte des täglichen Lebens bringen einen großen Nutzen für unsere Gesellschaft. Zur gleichen Zeit werden durch Freisetzungen von gefährlichen Chemikalien entlang des gesamten Lebenszyklus der Produkte die Luft, Wasser und Böden verschmutzt. Dies führt oft zu schädlichen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit. Laut WHO sind 1,6 Millionen Todesfälle pro Jahr auf die Belastung mit Chemikalien zurückzuführen. Von einer giftfreien Kreislaufwirtschaft und einem nachhaltigen Umgang mit Stoffen von der Produktion über die Verwendung bis zur Entsorgung sind wir weit entfernt. Auch unsere Grundstoffindustrie steht daher vor großen Transformationsherausforderungen. Neben Klimaneutralität zählt zu den Herausforderungen die Frage, wie die etwa 30 Prozent, die heute als fossile Ausgangsstoffe in die Grundstoffindustrie fließen, ersetzt werden sollen. Zum Beispiel durch werkstoffliches Recycling und Suffizienz, einen nachhaltigen Feedstock und dauerhaft geschlossene Kohlenstoffkreisläufe.

Das europäische Chemikalienrecht gehört zwar zu den ambitioniertesten der Welt, hat sich aber in den vergangenen Jahren als zu langsamer und zudem zahnloser Tiger herausgestellt. Es hat sich gezeigt, dass mit den bisherigen Regelungen kein ausreichender Schutz von Umwelt und Gesundheit möglich ist. Die europäische Kommission hat daher eine umfangreiche Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit entwickelt, um diese Schwachstellen zu beheben. Hierin liegt der größte Hebel, um einen zukunftsträchtigen Markt für sichere und nachhaltige Grundstoffe in Europa und eine Grüne Chemiewende zu schaffen. Ich setze mich dafür ein, dass wir die wesentlichen Schritte der Strategie noch vor der nächsten Europawahl umsetzen, da sonst die Gefahr droht, dass nicht hinnehmbare Folgen für Umwelt und Gesundheit in Kauf genommen und wichtige Innovationen verschlafen werden. Daran kann niemand interessiert sein, dem die Gesundheit der europäischen Bürger*innen und eine gute wirtschaftliche Entwicklung wichtig sind. 

Bei der Bekämpfung der Verschmutzungskrise stehen wir heute an einem Punkt, an dem wir bei der Bekämpfung von Klimakrise und Artensterben vor etwa 20 Jahren standen. Die Krux: weil sich alle drei Krisen gegenseitig beeinflussen und gegenseitig treiben, können Lösungen in keinem der drei Bereiche auf die lange Bank geschoben werden. So verlockend es erscheinen mag, eine nach der anderen abzuarbeiten, müssen vielmehr auch Antworten gefunden werden, die mehrere Probleme zugleich adressieren. Es ist evident, dass diese Antworten auch kein Staat auf der Welt alleine geben kann. Europäische und globale Zusammenarbeit zur Lösung dieser drei globalen Umweltkrisen ist daher entscheidend. Anders als beim Klimaschutz mit dem Pariser Klimaabkommen und bei der Biodiversität mit dem Kunming-Montréal-Abkommen, ist es im Bereich des Chemikalien- und Abfallmanagements bislang leider auch noch nicht gelungen ein umfassendes internationales Rahmenabkommen zu entwickeln. Viele Einzelabkommen mit unterschiedlichen Ambitionsniveaus, die insgesamt nur deutlich weniger als 100 Stoffe abdecken, stehen nebeneinander. Wie setzen uns daher dafür ein, dass europäische und internationale zwischenstaatliche Vereinbarungen zwischen den verschiedenen Stakeholdern (Umweltverbänden, Staaten und Umweltverbänden) hier in Zukunft zu verbindlicheren Zusagen und stabileren Finanzierungsmodellen, die auch die Interessen der Staaten des globalen Südens berücksichtigen, gelangen können.