“Bildung, Wohlstand und Freiheit sind die einzigen Garantien für die dauerhafte Gesundheit des Volkes.” Rudolf Virchow 1852
Wer wohlhabend und gut ausgebildet ist, lebt in Deutschland deutlich länger als Menschen, die arm sind und nur eine kurze schulische und berufliche Bildung erhalten haben. Bei Männern macht der Unterschied rund 11 Jahre aus, bei Frauen immerhin noch acht Jahre.
Viele Krankheiten sind bei sozial und wirtschaftlich Benachteiligten häufiger. Dazu gehören Gefäßerkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall, Krebs- und Lebererkrankungen, Diabetes mellitus, aber auch eine Reihe psychischer Krankheiten. Mit meiner Arbeitsgruppe habe ich den Zusammenhang für den Schlaganfall, also für Durchblutungsstörungen des Gehirns, in mehreren Studien untersucht. In der umfangreichsten Untersuchung mit fast 1300 Patienten und Kontrollpersonen aus Ludwigshafen war das Schlaganfallrisiko im Drittel mit dem ungünstigsten sozioökonomischen Status rund 3 Mal so hoch als im oberen Drittel; nach Berücksichtigung von Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum, Ernährung und Bewegung bestand immer noch ein um 75% erhöhtes Risiko. Besonders frappierend war, dass ungünstige Bedingungen in der Kindheit ein ebenso mächtiger Risikofaktor waren und dass dieser Effekt bestehen blieb, auch wenn die sozialen Verhältnisse im Erwachsenenalter mitberücksichtigt wurden. Ungünstige soziale Verhältnisse „vererben“ sich quasi über Generationen hinweg.
In Rheinland-Pfalz sind die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den 36 Städten und Kreisen sehr unterschiedlich; am besten sind sie einem Index (German Index of Multiple Depravation, GIMD10) zufolge in Mainz-Bingen, am ungünstigsten in Pirmasens. Die Schlaganfallhäufigkeit korreliert stark mit dem Index und ist dort am höchsten, wo die sozialen Bedingungen am Schlechtesten sind.
Aus diesen Erkenntnissen, die nicht nur für den Schlaganfall gelten, lassen sich wichtige politische Konsequenzen ableiten. Gesundheitliche Prävention muss früh ansetzen, nämlich bereits in der Kindheit und körperliche und psychische Aspekte miteinbeziehen. Die Lebensverhältnisse müssen in ärmeren Familien deutlich verbessert werden. Kinderarmut ist über viele Jahre gewachsen, ein Umstand, den wir politisch nicht hinnehmen dürfen. Auch im Erwachsenenalter muss Vorbeugung vor allem in den sozialen Gruppen ansetzen, in denen ein besonders Krankheitsrisiko besteht. In Rheinland-Pfalz fordern wir Grünen ein Gesundheits-Projekt für Pirmasens, einer Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit und hohen Krankheitsraten. Der Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit hat viele Ursachen, schlechte Wohnverhältnisse, ungünstige Ernährung und psychische Belastungen gehören dazu und stellen wichtige politische Ansatzpunkte dar. Allzu oft wird Armut mit persönlichem Versagen gleichgesetzt, ein Umstand, der zusätzliche psychische Belastungen für die Betroffenen schafft.
Aber Armut macht nicht nur krank, der Umkehrschluss gilt ebenfalls, Krankheit macht häufig auch arm. Krankheit ist ein wesentlicher Kündigungsgrund und Jobverlust ist seinerseits eine wichtige Ursache für materiellen und sozialen Abstieg. Oft verlieren Menschen dann auch ihre Zugehörigkeit zu einer Krankenkasse. Gut, dass in Rheinland-Pfalz mit Hilfe unserer Ministerin Anne Spiegel eine Clearing-Stelle für Menschen ohne Krankenversicherung eingerichtet wurde. Am Ende eines sozialen Abstiegs steht nicht selten Wohnungsverlust und Obdachlosigkeit, die dann mit vielfältigen besonders hohen Gefahren für die Gesundheit einhergeht. Selbstbeteiligungen und Zuzahlungen etwa bei Medikamenten stellen bei Einkommensschwachen zusätzliche Belastungen dar und können zu einer geringeren Therapietreue führen. Befreiungen für Empfänger*innen von Grundsicherung schützen hier nicht immer, weil viele Menschen aus Scham die Leistungen gar nicht beantragen. Für Ärmere bestehen dann häufig zusätzliche Barrieren, die ein Aufsuchen von Gesundheitseinrichtungen verhindern.
Hier sind auch neue Versorgungsstrategien erforderlich wie niederschwellig angelegte Sprechstunden an Orten, an denen sich Betroffene aufhalten, aufsuchende Hilfsangebote, eine enge Vernetzung regionaler Gesundheitsangebote untereinander und mit sozialen Diensten und Beratungsstellen, zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit und eine Einbeziehung der Betroffenen in die Entscheidungsprozesse. Wir Grüne in Rheinland-Pfalz wollen diese Aufgaben anpacken.
Armut geht auch mit schlechteren Wohn- und Arbeitsverhältnissen einher. Wer ein geringeres Einkommen besitzt, wohnt häufiger an lauten, abgasreichen Straßen oder ist höheren Gefahren für Arbeitsunfälle ausgesetzt. Lärm und hohe Schadstoffbelastungen in der Luft sind Risikofaktoren für Erkrankungen der Atemwege, aber auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und für einige Krebsarten. Umweltschutz ist daher auch Gesundheitsschutz, der oft gerade Ärmerem besonders zugute kommt.