In einer neuen Studie zeigt die Hans Böckler Stiftung, dass der Kostendruck innerhalb Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) sich auf die Arbeitsbedingungen niederschlägt.
Dazu erklärt der Grüne Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Armin Grau, Arzt, Mitglied im Gesundheitsausschuss und Berichterstatter für Krankenhäuser und ambulante Versorgung:
„Die Branchenanalyse Medizinische Versorgungszenten (MVZ) der Hans-Böckler-Stiftung ist verdienstvoll, weil sie die Arbeitsbedingungen in den MVZ in den Fokus rückt und wichtige Hinweise auf Defizite gibt. Laut der Studie werden viele Beschäftigte in MVZ nicht nach Tarif bezahlt, es besteht eine hohe Arbeitsverdichtung mit vielen Überstunden und häufig fehlen Betriebsräte.
Ich halte es für sehr wichtig, dass auch in MVZ nach Tarif bezahlt wird. Wo Gelder aus der Gesetzlichen Krankenversicherung eingesetzt werden, sollte Tariftreue die Regel sein. Sehr wichtig ist es auch, dass Arbeitnehmervertretungen eingerichtet werden und die Interessen der Beschäftigten mitbestimmen können, etwa in Sachen Arbeitsgestaltung oder Abwendung negativer Folgen der Digitalisierung und besserem Informationsfluss aus der Unternehmensleitung.
MVZ sind sinnvolle Einrichtungen; sie erlauben v.a. jüngeren Ärzt*innen eine ambulante Tätigkeit, ohne einen Kassensitz erwerben zu müssen und können sie bei vielen bürokratischen Aufgaben entlasten. Dies zeigt auch die Studie der Böckler-Stiftung. Die ärztliche Autonomie in MVZ muss aber immer gewahrt bleiben.
Deswegen strebt die Ampelregierung noch in diesem Jahr Reformen bei den MVZ an. Zunächst sollen die Möglichkeiten von Kommunen gestärkt werden, MVZ zu gründen. Dies ist ein wichtiger Baustein für eine Gesundheitsversorgung, die sich stärker an regionalen Bedarfen orientiert.
Darüber hinaus ist es wichtig, Fehlentwicklungen bei investorenbetriebenen MVZ entgegenzuwirken bzw. ihnen vorzubeugen. Ein MVZ-Register muss deutlich machen, wem ein MVZ gehört, das ist heute gar nicht immer bekannt. Der Eigentümer muss auch auf dem Praxisschild erkennbar sein. Weitere rechtliche Maßnahmen zielen u.a. darauf ab, dass Krankenhaus-MVZ eine stärkere regionale Bindung haben und in MVZ die ärztlichen Leiter*innen eine gestärkte Position haben. Die ärztliche Unabhängigkeit muss immer gewahrt bleiben, ärztliche Entscheidungen müssen immer ausschließlich am Patientenwohl orientiert sein. Wie die Studie zeigt, müssen die Arbeitsumstände verbessert werden und weniger vom Kostendruck getrieben sein. Anstatt Rosinenpickerei bei Behandlungen und dem starken Einfluss von Kapitalinteressen, sollen MVZ die volle Bandbreite der Leistungen im jeweiligen Fach anbieten, sodass Patientinnen und Patienten gut und fair versorgt werden. In Vordergrund der kommenden Reformen stellen wir in jedem Fall das Patientenwohl.
Zum Hintergrund:
Seit 2004 können Medizinische Versorgungszentren (MVZ) neben Einzel- und Gemeinschaftspraxen (heutige Bezeichnung: Berufsausübungsgemeinschaften) an der ambulanten ärztlichen Versorgung teilnehmen. MVZ bringen heute v.a. für viele jüngere Ärztinnen und Ärzte den Vorteil mit sich, angestellt sein zu können und nicht direkt einen Kassenarztsitz erwerben und selbständig tätig sein zu müssen. Rund 93% der circa 26.000 Ärztinnen und Ärzte in MVZ arbeiten in einem Angestelltenverhältnis (Stand Ende 2021). Während 2010 rund 6% der Ärztinnen und Ärzte in MVZ gearbeitet haben waren es 2015 rund 15% (Quelle: KBV). Der Anteil der ärztlichen (nicht zahnärztlichen) MVZ liegt bundesweit im Verhältnis zu den anderen Praxisformen bei wenigen Prozentpunkten, in einzelnen Regionen und Fächern wie der Augenheilkunde oder der Orthopädie liegt der Anteil aber zum Teil deutlich höher.
Investoren, die ein Krankenhaus in Deutschland besitzen, können MVZ betreiben, dafür Kassenarztsitze aufkaufen und Ärzt*innen einer oder verschiedener Fachrichtungen in unbegrenzter Zahl anstellen. In den letzten Jahren ist die Zahl der MVZ in der Hand von Investoren (iMVZ), meist in der Hand von Private Equity (PE) Gesellschaften kontinuierlich gestiegen. So haben die Käufe von Gesundeinrichtungen durch PE Gesellschaften von jährlich unter 10 in den Jahren vor 2010 auf über 160 im Jahr 2020 zugenommen (Quelle: Rainer Bobsin. Private Equity 2020) Der Anteil der iMVZ ist bislang insgesamt gering, in einzelnen Fächern wie Zahnheilkunde und Augenheilkunde und vor allem in größeren Städten nimmt er jedoch zum Teil bereits beträchtliche Ausmaße an. Es besteht die Befürchtung, dass bekannte Zahlen zu iMVZ nicht vollständig sind, da es keine Pflicht gibt, die Käufe anzuzeigen oder registrieren zu lassen. Der Letztbesitzer eines MVZ ist angesichts verschachtelter Firmenstrukturen oft nur mit großen Mühen und zum Teil gar nicht zu identifizieren. Daher müssen ein Register und Informationen auf dem Praxisschild, dem Briefkopf und im Internet für Transparenz sorgen.
Ein künftiges Register erlaubt auch eingehendere Analysen zum Leistungsgeschehen in den verschiedenen Praxisformen; iMVZ wird in der aktuellen Diskussion vorgeworfen, sich besonders lukrative Leistungen mit der Möglichkeit zu Mengensteigerungen herauszugreifen und medizinisch zum Teil nicht begründbare Leistungsausweitungen vorzunehmen.
Im Rahmen der geplanten Versorgungsgesetze möchte das Bundesgesundheitsministerium, wie im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbart, zunächst die Gründung von kommunalen MVZ erleichtern und in einem zweiten Schritt u.a. rechtliche Maßnahmen für mehr Transparenz über Inhaberstrukturen einführen. Die vorgelegte Studie der Böckler Stiftung verdeutlicht erneut den Handlungsbedarf, und verdeutlicht dies eindringlich aus Arbeitnehmerperspektive.